1893

Käthe Schröder-Aufrichtig wird am 25. September 1893 als Tochter eines preußischen Beamten in Stendal geboren. Ihr Vater entstammt einer alten mecklenburgischen Familie von Geistlichen und Gelehrten, der auch Heinrich Schliemann, der Entdecker Trojas, angehörte.

Im Alter von vier Jahren zieht Käthe mit ihre Eltern nach Berlin. Siebzehnjährig wird sie von Max Reinhardts renommierter „Schauspielschule des Deutschen Theaters“ aufgenommen und absolviert dort ihre Ausbildung zur Schauspielerin. Doch die Schauspielerei kann ihrem Tatendrang, ihrer Neugier und ihrem Ehrgeiz auf Dauer nicht genügen. Noch während der nachfolgenden Engagements in Breslau, Köln und Berlin beginnt sie zu malen und es dauert nicht lange, da stellen sich die ersten Erfolge ein. Sie wird ausgestellt und ihre Bilder verkaufen sich gut.


Heirat mit Hans Aufrichtig - Erste Erfolge als Bühnenschriftstellerin werden durch die Rassengesetze der Nazis zunichte gemacht.


Nach einer wilden Ehe mit einem Industriellen namens Reissmann lernt sie Mitte der 20er Jahre den acht Jahre jüngeren Journalisten Hans Aufrichtig kennen. Hans ist Jude böhmischer Herkunft, lebt aber seit seinem zehnten Lebensjahr in Deutschland. Die beiden heiraten 1927. Käthe gibt die Schauspielerei auf und probiert sich auf einem neuen Gebiet aus: der Schriftstellerei. Hier lässt der Erfolg etwas länger auf sich warten. Sie veröffentlicht zwar einige kleinere Arbeiten in verschiedenen Zeitungen, aber der literarische Durchbruch will sich zunächst nicht einstellen. Mittlerweile haben die Nazis die Macht in Deutschland an sich gerissen und Käthe wird in die Reichschrifttumskammer aufgenommen, was Voraussetzung ist, um weiterhin schriftstellerisch tätig zu sein. Im Jahre 1934 gelingt es ihr, ihr erstes Theaterstück am Theater am Schiffbauerdamm mithilfe des Beboton-Verlags unterzubringen. Verlag wie Theater haben ihr Stück um Johann Strauß und dessen Sohn enthusiastisch aufgenommen. Doch das Glücksgefühl einer hoffnungsvollen schriftstellerischen Karriere währt nur ein paar Wochen.
Was folgt, ist ein schmerzvoller und lebenslanger Kampf um Beachtung und Anerkennung.
Die Rassengesetze der Nazis werden zu dieser Zeit wirksam und Käthe sieht sich mit einer perfiden Intrige des Direktors des Schiffbauerdamms und des Verlags konfrontiert. Im Glauben, Käthe und ihr Mann seien bereits emigriert, gibt der Direktor das Stück kurzerhand unter anderem Titel als sein eigenes aus und will es an seiner Bühne aufführen lassen. Käthe erfährt davon durch Zufall und lässt durch einen Anwalt ein Aufführungsverbot erwirken, dass mitten in die Generalprobe platzt. Es folgt ein zweijähriger Prozess mit Verleumdungen, gefälschten Zeugenaussagen, Erpressungen seitens des Verlags und der Aufforderung zu beweisen, dass das Stück tatsächlich von ihr ist.
Zermürbt von den Kämpfen und der Einsicht in die Aussichtslosigkeit der Klage stimmt Käthe schließlich einem „Kompromiss“ zu, der nichts anderes als eine demütigende Niederlage ist. Man spricht ihr die Rechte für das Ausland zu, wenn sie im Gegenzug auf alle weiteren Ansprüche innerhalb Deutschlands verzichtet - und das, nachdem bereits über dreißig Bühnen im ganzen Reich Interesse angemeldet haben. Wie wenig sie wirklich gewonnen hat, wird ihr später klar. Der Wiener Pfeffer-Verlag will das Stück in Wien unterbringen, doch der „Anschluss“ kommt dem zuvor. In Prag und Paris gibt es ebenfalls Interesse, doch auch hier verhindert jeweils der Einmarsch der Deutschen eine Aufführung. Selbst in Bern muss der Intendant infolge der propagierten „geistigen Landesverteidigung“ auf eine Inszenierung verzichten.


1938 Flucht aus Deutschland nach Italien


Mittlerweile sind die Umstände für Hans unhaltbar geworden. Nach einem Tipp seitens seiner Redaktion flüchten er und Käthe 1938 aus Deutschland. Der Gustav-Kiepenheuer-Verlag, der große Hoffnungen in Käthe setzt und den Kontakt zu ihr nicht abbrechen lassen will, empfiehlt, nach Italien zu gehen. Dies scheint auf den ersten Blick ein absurder Rat zu sein. Warum ausgerechnet Zuflucht suchen in einem faschistischen, mit Hitler verbündeten Land? Doch der Verlag hat gute Kontakte nach Rom, glaubt die beiden dort sicher unterbringen zu können und außerdem existieren in Italien keine Rassengesetze und der Antisemitismus ist weitgehend unbekannt.

Zwei Jahre leben Hans und Käthe unbehelligt in Rom. Sie plagen Heimweh, Geldsorgen und die Angst um Hans' in Deutschland verbliebene Verwandtschaft. Doch anders als Hans, der immer schwermütiger wird angesichts seiner erzwungenen beruflichen Untätigkeit, bleibt Käthes literarischer Schaffensdrang ungebrochen. Sie schreibt Theaterstücke und Novellen und glaubt diese auch in Deutschland unterbringen zu können. Doch mit dem Kriegseintritt Italiens ändert sich alles. Der Kontakt zu Kiepenheuer bricht ab.
Mussolini gibt dem immer stärker werdenden Druck aus Berlin nach und verfügt nun seinerseits Rassengesetze.


Verhaftung in Italien - Das Internierungsdorf Guardiagrele


In der Nacht werden Hans und Käthe aus dem Bett heraus verhaftet. Man deportiert Hans in ein Lager im südlichen Ferramonti. Käthe wird in ein Konzentrationslager für Frauen nahe Lanciano in den Abruzzen interniert. Die beiden sind nun zum ersten Mal getrennt. Käthes Verzweiflung wird immer größer, die Briefe an Hans immer düsterer und hoffnungsloser. Sie glaubt nicht daran, dass sie sich je wiedersehen werden und versucht sich umzubringen. Und dann geschieht etwas, was so wohl nur in Italien passieren kann. Die Behörden zeigen Mitleid und Hans und Käthe werden wieder vereint. Noch werden keine Juden nach Deutschland deportiert und da es kaum Konzentrationslager in Italien gibt, behelfen die Behörden sich mit einer ungewöhnlichen Massnahme. Sie schicken Juden und andere Flüchtlinge in entlegene Bergdörfer, wo sie in einer Art „offenem Vollzug“ bei den Einheimischen leben. Die Auflagen sind streng - sie dürfen nicht arbeiten, müssen sich jeden Tag bei der Polizei melden, Briefe (mit Ausnahme an Verwandte) sind ebenso verboten wie das Verlassen der Dörfer. Hans und Käthe werden zusammen mit einigen Dutzend anderen Flüchtlingen per Zug nach Guardiagrele geschickt, einem mehrere tausend Einwohner zählenden Städtchen in den Abruzzen - damals (wie heute) eine der ärmsten und am wenigsten erschlossenen Gegenden Italiens. Sie kommen bei einer alten Frau namens A. R. unter, die ihnen ihre Dachkammer überlässt. Der Staat zahlt Frau R. jeden Tag einige Lire für deren Kost und Unterbringung. Das Zusammenleben der Einheimischen und der Flüchtlinge gestaltet sich verblüffend harmonisch. Die Flüchtlinge, viele von ihnen sind Ärzte, Ingenieure oder - wie Hans und Käthe - Intellektuelle erscheinen den Guardiesi in Kleidung und Habitus zwar mitunter sehr befremdlich, aber es kommt kaum zu Konflikten.
Hans und Käthe durften sich ihre Bücher aus Rom nachschicken lassen und richten sich in ihrer Dachkammer ein. Käthe beginnt wieder zu schreiben. Sie steht zwar in brieflichen Kontakt mit einem Schweizer Verleger, dem sie als dessen „Cousine“ schreibt und der ihr gelegentlich Geld schickt, doch man erlaubt es ihr nicht, eines ihrer Manuskripte zu verschicken. Wieder landen ihre Manuskripte in der Schublade.
Käthe und Hans suchen wenig Kontakt zu den anderen Flüchtlingen, die rasch eine Gemeinde bilden. Sie gelten als sehr gebildet, höflich und hilfsbereit. Käthe gibt dem Sohn einer Nachbarin Deutsch-Unterricht, ohne allerdings dafür Geld zu verlangen. Für ihr Überleben - jegliche Arbeit ist ihnen ja untersagt - sorgt die jüdische Gemeinde in Rom sowie Freunde und Bekannte, die ihnen ab und zu kleinere Beträge zukommen lassen. Die beiden wähnen sich in relativer Sicherheit und hoffen den Krieg in „ihrem“ Guardiagrele überstehen zu können. In der Rückschau wird Käthe die drei Jahre, die sie dort verbrachte, als die schönsten ihres Lebens bezeichnen.


Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Guardiagrele


Die seltsame Idylle findet im September 1943, nach der Kapitulation Italiens und der Ermordung Mussolinis, ein jähes Ende. Die Wehrmacht marschiert in Italien ein und stellt sich den heranrückenden englischen und amerikanischen Truppen entgegen. Es dauert nicht lange und das weltabgeschiedene Guardiagrele wird zum Frontgebiet. Über Nacht flüchten fast alle Juden in die umliegenden Berge, ehe die Wehrmacht mit 13 Mann in Guardiagrele einfällt. Die, die zurückbleiben, werden aufgegriffen und deportiert.
Verdreckt, krank und am Rande ihrer Kräfte leben Hans und Käthe fast ein Jahr lang in Höhlen und verfallenen Berghütten, immer in der Angst, von den Deutschen entdeckt zu werden.


Befreiung und Nachkriegszeit


Eines Morgens, so beschreibt sie es später in einer Erzählung, wird die Tür ihres Unterschlupfes - einer kleinen, zugigen Hütte - aufgestoßen. Im Türrahmen steht ein Soldat, doch nicht in grauer Uniform der Wehrmacht, sondern in brauner der englischen Armee. Über Nacht war die Front unbemerkt über sie hinweggerollt.
Hans und Käthe werden in einem DP-Camp untergebracht (deplacement-camp). Es dauert wiederum fast drei Jahre, bis sie nach Rom zurückkehren können.

Eine kleine, ärmliche Wohnung in der Via di Monteverde ist der Ort, an den Käthe und Hans für den Rest ihres Lebens dauerhaft emigrieren. Nach Deutschland zurückzukehren erscheint ihnen unmöglich. Die gesamte Familie von Hans ist in Auschwitz umgekommen und auch von Käthes Familie lebt niemand mehr. Sie sind die letzten. In den ersten Jahre leben sie fast mittellos. Ab 1950 gelingt es Hans, in Deutschland wieder journalistisch Fuß zu fassen. Er schreibt für mehrere Tageszeitungen, u.a. auch für die „Welt“. Auch Käthe bringt gelegentlich einige kleine Texte bei Zeitungen unter. Doch nicht etwa im Feuilleton, sondern auf der “Frauenseite“. Verbittert muss sie feststellen, dass sich niemand mehr für ihre Arbeiten interessiert. In einem Brief, den sie im Rahmen einer Wiedergutmachungsklage verfasst, bemerkt sie: „Sie (die dramatische Produktion - fünf Stücke und ein Opernentwurf) lag so lange brach, bis fasst alle Arbeiten in der nach dem Krieg so veränderten Welt thematisch überholt waren und mit ihren Problemen im Leeren standen.“

Tatsächlich waren ihre Stücke und der einzige noch im Nachlass befindliche Roman in literarischer Hinsicht veraltert. In ihren Werken findet sich eher die elegante Welt des späten 19.Jahrhunderts wieder. Es sind zum Teil tragische, in höheren Gesellschaftskreisen angesiedelte Dreiecks-Liebesgeschichten, in denen auffallend oft eine Frau sich zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern entscheiden muss. In jedem ihrer literarischen Werke spiegelt sich die ebenso unbändige wie verzweifelte Sehnsucht nach Bewunderung und gesellschaftlicher Anerkennung wieder, die ihr in der Realität stets verwehrt blieb.

Die finanzielle Situation bleibt trotz der kleinen journalistischen Erfolge auch in den folgenden Jahren schwierig. Man spart beim Essen oder beim Heizöl, um Geld für Papier und Porto zu haben. Einmal muss Käthe sogar ihre Schreibmaschine versetzen, um auf dem Markt das Nötigste einkaufen zu können. Im Viertel kennt man sie, die großgewachsene und exzentrische „Tedesca“. Sie trägt selbst genähte und für die Zeit ungewöhnliche Kleider, die an chinesische Hosenanzüge erinnern. Sie färbt sich trotz aller Armut regelmässig die Haare und schminkt sich jeden Tag.

Obwohl alle Versuche, im Nachkriegsdeutschland noch einmal literarisch auf sich aufmerksam zu machen, scheitern, gibt Käthe nicht auf. Sie schreibt unverdrossen weiter - wieder direkt in ihre Schublade hinein. Sie hält Kontakt zu Ingeborg Bachmann, zu Dürrenmatt und Frisch. Luise Rinser versucht vergebens sie beim S. Fischer Verlag unterzubringen. Käthe kann und will ihren Stil und ihre Themen nicht dem neuen Zeitgeist anpassen. Sie ist zu weit weg von dem, was gesellschaftlich, politisch und literarisch in Deutschland passiert. Auch wenn sie keinen Fuß auf deutschen Boden mehr setzen will, so ist ihre „Schreibe“ immer noch dem Geist der Weimarer Republik verpflichtet.


"Wiedergutmachung"


Ab 1958 bemüht sich Hans mithilfe eines Anwalts namens Hans Bornemann um eine Wiedergutmachung. Zunächst will Hans nichts davon wissen, zu anstrengend ist die Prozedur, sich erklären zu müssen, und zu demütigend die anfänglich ablehnenden Bescheide der deutschen Behörden. Ein erneuter Selbstmordversuch Käthes und sein permanentes schlechte Gewissen ihr gegenüber, die alles für ihn aufgegeben hat, zwingen ihn dazu, die Klage durchzufechten. Als nach endlosen juristischen Scharmützeln endlich eine einmalige Zahlung von 20.000 Mark erfolgt (neben einer garantierten lebenslangen Rente von 2.000 Mark monatlich), kauft Hans als erstes für Käthe - sie ist mittlerweile 67 Jahre alt - einen Pelzmantel, damit sie einmal noch in ihrem Leben über den Corso flanieren kann wie einst über den Kurfürstendamm.


Tod von Hans Aufrichtig


Von der Wiedergutmachung und der monatlichen Rente haben die beiden nicht mehr viel. Hans erkrankt an Magenkrebs und das meiste Geld müssen sie für seine Behandlung ausgeben. 1969 stirbt Hans. Käthe realisiert seinen Tod zuerst gar nicht richtig. Nur Stunden nachdem er gestorben ist, sitzt sie in ihrer Küche und fragt ihre einzige deutsche Freundin, Rita, die eilends angereist ist, ob sie nun wirklich schwarz tragen muss. Die Farbe stehe ihr eigentlich überhaupt nicht. Doch der Schock, der den Schmerz zunächst noch zurückhalten kann, weicht mehr und mehr einer tiefen Verzweiflung. Für Hans hatte sie Deutschland den Rücken gekehrt, sie hatte ihre hoffnungsvolle Karriere als Schriftstellerin geopfert und es zu ertragen versucht, dass sich niemand mehr für ihre Werke interessierte. Hans war sich stets dessen bewusst gewesen und seine Dankbarkeit hatte sie jeden Tag getragen und beschützt. Seine wohlwollende Kritik an ihren Arbeiten, der Langmut gegenüber ihren Launen und „seine unbeschreibliche Güte und Barmherzigkeit“ (Rita S.), all das hatte ihn zum einzigen Fixstern gemacht, den sie je in ihrem Leben hatte.


Einsamkeit und Wahn


Käthe versucht sich so gut es geht in ihrer Einsamkeit einzurichten. Sie schreibt an einer Autobiografie und spricht sie bei ihren Besuchen am Grab von Hans im Geiste mit ihm durch. Sie verliert mehr und mehr ihr Augenlicht, eine Arteriosklerose macht das Schreiben zur Qual. Hinzu kommt die Angst davor, bestohlen zu werden, die sich immer mehr zu einer Wahnvorstellung ausweitet. Sie beschuldigt die Zugehfrau, Dinge aus ihrer Wohnung zu entwenden und meint nachts zu hören, wie jemand an ihrem Sekretär sitzt und die Blätter ihres unvollendeten Romans umschlägt.
Am Ende ihres Lebens wird sie von dem eingeholt, was seit ihrer Flucht ein steter Begleiter war: Das Gefühl, um ein glanzvolles und erfolgreiches Leben als Schriftstellerin bestohlen worden zu sein.

1980 stirbt Käthe nach mehreren Klinikaufenthalten. Während einer dieser Aufenthalte wird tatsächlich in ihrer Wohnung eingebrochen. Ein Großteil ihres Nachlasses verschwindet dabei, darunter auch ihre Autobiografie.

Bei ihrer Beerdigung wird sie von vier Menschen begleitet. Mehr Freunde hatte sie nicht mehr. Sie wird in Hans' Grab beigesetzt. Rita erinnert sich: „Ihr Sarg war in einem dieser römischen Leichenwagen aufgebahrt, die waren ja rundherum aus Glas. Wir fuhren quer durch Rom. Die Leute blieben am Straßenrand stehen und bekreuzigten sich. Wir fuhren dann in Richtung Friedhof durch eine große Allee mit Palmen. Überall waren Menschen, die beteten und ich dachte, das ist ja wie auf einer Bühne. Das ist Käthe! So müsste das Leben zuende gehen, das passt zu ihr. Wenn Käthe das sehen könnte, dann würde sie sagen: ‚Das Leben hat sich doch gelohnt'. Diese Fahrt war ja eigentlich die wahre Wiedergutmachung, mehr als Geld und all das Drumherum. Ihr Leben war einfach Wahnsinn. Es war einfach Wahnsinn.“
 

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